Noch 9 Tage: Die zwei Bühnen

Es war ein wintergrauer Nachmittag, im Hintergrund lief „Gypsy“ von Fleetwood Mac,  als wir in einem Café saßen und die Planungen für Brafus2014 aufnahmen. Die Weltmeisterschaft, Brasilien und unser Vorhaben erschienen uns in diesem Moment im November 2013 so weit weg wie der Mars und wir waren noch zu zweit. Aber jede Unternehmung beginnt mit dem ersten Schritt. Also entschieden wir, Christian Frey und Kai Schächtele, die Flüge zu buchen, und vertrauten darauf, dass sich alles Weitere in den kommenden Monaten fügen würde. Und so ist es gekommen.

Vor uns liegt das größte Abenteuer unserer bisherigen Zusammenarbeit. Die begann, als wir 2010 durch Südafrika gereist sind, um hinter die Kulissen der Fußball-Weltmeisterschaft zu blicken. Damals wollten wir wissen: Was macht die WM mit einem Land, das vor Stolz schier platzt, als erstes afrikanisches Land ein Ereignis ausrichten zu dürfen, auf das die ganze Welt blickt, aber auch weiß, dass das Ressourcen verschlingt, die andernorts so viel sinnvoller investiert wären? Wir sprachen mit den Menschen in den Townships von Kapstadt genauso wie mit denen, deren Häusern in Johannesburg sich hinter den hohen Mauern wegducken? Für Geschichtenerzähler, als die wir uns begreifen, gibt es keine schönere Aufgabe, als jeden Tag auf fremde Menschen zuzugehen und sie zu fragen: Wer bist du? Warum stehst du hier? Und erzählst du uns deine Geschichte? Ein Jahr nach unserer Rückkehr wurden wir für den Grimme Online Award nominiert und diese Nominierung hat uns so viel Brennstoff geliefert, dass er uns nun nach Brasilien tragen wird.

Die Bedingungen, die uns dort erwarten, sind so vergleichbar mit denen von Südafrika wie sie sich von ihnen unterscheiden. Auf der einen Seite wird Brasilien die teuerste WM der Geschichte ausrichten und hat Stadien bauen lassen, die ab Mitte Juli niemand mehr brauchen wird, während es in der Gesellschaft an Investitionen in Bildung, das Gesundheitswesen oder die Verkehrs-Infrastruktur mangelt. Auf der anderen Seite wird sich der Ärger der Brasilianer nicht allein in Gesprächen artikulieren, wie wir das noch in Südafrika erlebt haben. Dawid Bartelt, Leiter des Brasilien-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte bei einer Veranstaltung in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin: „Für mich hat die WM am 20. Juni 2013 begonnen.“ Während des Confed-Cups waren zwei Millionen Brasilianer auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Und auch für die kommenden Wochen lautet ihre Parole: Wir haben nichts gegen diese WM. Aber wir wollen Schulen und Krankenhäuser nach FIFA-Standards. So wird es zwei Bühnen bei dieser Weltmeisterschaft geben. Auf der einen will die brasilianische Regierung demonstrieren, dass Brasilien angekommen ist im Kreis der großen Industrienationen. Auf der anderen wird das brasilianische Volk zeigen, dass es sich vom Establishment emanzipiert hat und seine Interessen wortgewaltig artikuliert. Es wird aber auch während der WM viele Brasilianer geben, die einfach ihren Alltag leben. Zur Arbeit gehen, musizieren und sich abends Fußball ansehen. Wer all diese Menschen sind, wie ihr Alltag aussieht und wie er sich anfühlt, in den vielen unterschiedlichen Schichten, in denen sie leben – das ist, was wir in den kommenden Wochen herausfinden wollen.

Wir – das sind diesmal nicht zwei wie in Südafrika, sondern drei. Mit uns wird Birte Fuchs nach Brasilien fliegen. Birte ist dem Land verfallen, seit sie 2007 zum ersten Mal in Sāo Paulo gelebt hat. Daraus wurden insgesamt zwei Jahre. Und seit langem hatte sie den Traum, all die Geschichten erzählen zu können, die sie in dieser Zeit gehört und erfahren hat. Nun ist die Gelegenheit gekommen. Im Gegensatz zu Christian und Kai spricht Birte fließend Portugiesisch. Wir zwei haben zwar seit Januar Unterricht genommen bei der in Berlin lebenden Claudia Meirelles Hartmann. Doch unsere Fähigkeiten reichen gerade mal aus, um unseren Namen zu sagen. Ganz vergebens waren die Lektionen aber nicht. Denn wir haben von Claudia je einen Spitznamen erhalten. Welche das sind? Das soll sie selbst erklären. Für Birte wird sich auch noch ein Spitzname finden.

Wir machen Brafus im eigenen Auftrag und auf eigene Faust. Bis vor sechs Wochen standen wir in guten und konstruktiven Gesprächen mit einem Magazin, mit dem wir dieses Projekt gemeinsam realisieren wollten. Am Ende allerdings reichten die Ressourcen, die es uns dafür hatte bieten können, nicht aus, um Brafus20104 nach unseren Maßstäben realisieren zu können. Also sagten wir ab, schrieben Emails und führten Gespräche. Inzwischen ist die Basis organisiert. Mit Torial und Viventura haben wir zwei Partner gewinnen können und wir werden neben dem Blog auch für journalistische Auftraggeber arbeiten. Damit ist die die Finanzierung der Startkosten garantiert. Klar ist aber auch: Ohne die Beteiligung derer, die wir mit unseren Geschichten erreichen wollen, werden wir nicht bis Rio kommen, von wo wir eine Woche nach dem Finale am 13. Juli zurückfliegen werden.

Was wir vorhaben, haben wir Crowd Travelling genannt. Unser Anspruch ist, dass sich am Ende unserer Reise jeder Leser, jeder User, jeder Follower als ein Teil von Brafus2014 begreifen kann. Wir wollen mit Euch diskutieren und kommunizieren, wir wollen Euch in die Reiseplanung integrieren und auf Eure Anregungen wie auf Eure Kritik eingehen. Jeder soll am Ende das Gefühl haben, das Land durch unsere Augen und Ohren wahrgenommen zu haben. Im Gegenzug brauchen wir dafür Eure Unterstützung. Wer uns helfen möchte, kann das auf verschiedene Weise tun. Sich mit einem Honorar an den Kosten der Reise beteiligen, je nach Höhe die entsprechende Prämie erhalten und sich damit außerdem einen Platz auf unserer Paid Wall sichern. Oder uns mit Tipps und Ratschlägen weiterhelfen, um nicht nur mit besonderen Menschen ins Gespräch zu kommen, sondern womöglich sogar einen Schlafplatz zu erhalten. Oder möglichst vielen Freunden davon erzählen, was wir hier tun, weil damit die Zahl derer steigt, die Lust haben, ein Teil von Brafus2014 zu werden.

Wir wissen nicht, ob sich das finanzielle Risiko auszahlen wird, das wir damit eingehen. Doch man kann den Mut und die Bereitschaft zu investieren, auch wenn der Ausgang ungewiss ist, nicht immer nur von anderen verlangen. Manchmal muss man auch selbst in Vorleistung gehen.

Noch neun Tage bis zum Abflug.

 PS: Wer uns in den kommenden Wochen folgen möchte: Es gibt eine eigene Brafus2014-Seite bei Facebook und auf Twitter folgt man uns hier.